Von C.M. Mayo
Übersetzt aus dem Englischen von Ana-Isabel Aliaga-Buchenau
Abschrift der Vorlesung zur Jahrhundertfeier University of Texas El Paso
7. Oktober 2015
Ich möchte mich herzlich bedanken bei Diana Natalicio, der Präsidentin der Universität von Texas, El Paso und allen hier, die meinen Besuch und diesen Vortrag möglich gemacht haben. Vielen Dank auch an Robert Coronado und an die El Paso Zweigstelle der Federal Reserve Bank of Dallas. Und ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie sich die Mühe gemacht haben an diesem Abend teilzunehmen. Besonderer Dank gilt meinem viel bewunderten Schriftstellerkollegen und langjährigen Freund, Lex Williford.
Mein Mann, der Mexikaner ist, scherzt gerne, dass ich es ungefähr um sechs Kilometer verpasst habe, als Mexikanerin geboren zu werden. Sie können sich sicher denken, dass das bedeutet, dass ich hier in El Paso— in dieser “Stadt der Überraschungen”, wie sie die Schriftstellerin und Redakteurin Marcia Hatfield nennt, geboren bin. Mein Vater war ein Artillerieoffizier, der in Fort Bliss stationiert war, und so wie ich weiss, hat er hier an der UT El Paso einige Ingenieurkurse belegt. Daher ist es für mich als gebürtige El Pasoanerin eine ganz besondere Ehre, eingeladen worden zu sein und diesen Vortrag zu halten.
Ich kann allerdings nicht sagen, dass es wie eine Rückkehr in die Heimat ist, denn meine Eltern kommen aus Chicago und New York. Als ich ein Baby war, hat sich mein Vater für eine Laufbahn in der Geschäftswelt entschieden und die Familie nach Kalifornien in die San Francisco Bay Gegend, die heute als Silicon Valley bekannt ist, umgesiedelt. Kulturell gesehen bin ich Kalifornierin.
Aber zurück zu El Paso—um noch einmal Marcia Hatfield Dautiestel zu zitieren— zu dieser “dunkeläugigen Fremden, die 1848 durch den Vertrag von Guadalupe Hidalgo nach Texas entführt wurde.”
Hier in El Paso zu sein, bedeutet für mich eine Rückkehr in die Heimat in einem anderen zutiefst bedeutungsvollen Sinn. El Paso ist eine Grenzstadt, und ich bin ein Mensch der Grenze. Während andere sagen wir ein bisschen nervös sind, gehen wir Menschen der Grenze ohne Probleme zwischen der USA und Mexiko hin und her. Oft sind wir zweisprachig, und Menschen mit zwei Kulturen— oder jedenfalls verziehen wir keine Miene bei den etwas exotischeren Vermischungen, sei es im kulinarischen oder musikalischen Bereich oder in der Sprache. Sogar ich bin dafür bekannt meine Gringa-Chilanga Version von Spanglish zu sprechen—oder ich werfe ein paar Brocken español in mein Englisch—para que me entiendas bien.
Ich lebe zwar nicht geografisch an der Grenze, aber kulturell. Damit will ich sagen, dass mein Mann und ich, vor 29 Jahren, nach unserer Hochzeit nach Mexiko Stadt (Chilangolandia), seine Heimatstadt gezogen sind. Und jetzt habe ich in Mexiko Stadt länger als sonst irgendwo in der Welt gelebt, einschließlich Kaliforniens. Ich sollte dazu sagen, dass ich in Mexiko nicht wie ein typischer Expat in einem Kokon von meinen amerikanischen Mitbürgern und kanadischen Snowbirds lebe. Ich bin Teil einer mexikanischen Familie, lebe in einer mexikanischen Nachbarschaft und ich habe viele sehr gute mexikanische Freunde und Kollegen.
Kurz gesagt, in den letzten drei Jahrzehnten meines Lebens ist Mexiko meine Welt geworden, obwohl ich amerikanische Staatsbürgerin geblieben bin. Deshalb dreht es sich in allen meinen Büchern um Mexiko.
Ich hoffe, dass meine Bücher sowohl attraktiv als auch nützlich sind. Ich schreibe sie mit soviel Respekt für den Leser, wie ich aufbringen kann. Aber um ehrlich zu sein ist der Grund, dass ich sie schreibe, dass ich in die komplexe Welt um mich herum eintauchen und sie erforschen will. Wenn ich dann diese neue Verständnisebene erreicht habe, will ich die Geschichte auf meine Weise erzählen. Sowie ich in Mexiko anfing zu leben, habe ich sehr schnell gelernt, den Vorurteilen und einem Großteil dessen was uns über Mexiko in Touristenführern, in Zeitungen, im Fernsehen, in Taschenbuch Erzählungen oder in Filmen, und manchmal sogar in Lehrbüchern sei es auf dieser oder der anderen Seite der Grenze eingeflösst wurde, zu misstrauen.
In Mexiko wird oft gesagt, dass nichts so ist wie es scheint. Wenn man einmal die Show anhält und Dinge hinterfragt— ehrlich und energisch hinterfragt— wenn man die Bibliographie und über die Bibliographie hinaus liest, wenn man sich die Zeit nimmt, die Menschen zu interviewen, ihnen wirklich mit Toleranz und offenherzig zuzuhören, wenn man an die Orte geht und dort steht und sich selbst umschaut, wenn man die Ärmel hochkrempelt und in den Archiven gräbt…dann, so hab ich es immer wieder erfahren, entdeckt man Geheimnisse und Überraschungen.
Das könnte man natürlich über die ganze Welt, von Azerbaijan bis Sambia sagen. Und auch über El Paso selbst. Aber meine Bücher sind über Mexiko. Ich werde Ihre Geduld nicht zu sehr strapazieren. Ich werde Ihnen nur drei Beispiele geben.
*
Das erste Beispiel ist aus meinen Reise Memoiren Miraculous Air: Journey of a Thousand Miles Through Baja California, The Other Mexico (Wundersame Luft: Eine Reise von Tausend Meilen durch Baja Kalifornien, Das Andere Mexiko).
Der Titel kommt von einem Zitat aus John Steinbeck’s The Log from the Sea of Cortez (Logbuch des Lebens). “Sogar die Luft hier ist wundersam und die Umrisse der Realität ändern sich jeden Moment.”
Beim Schreiben dieses Buches gab es mehrere Überraschungen für mich, aber hier ist eine:
Was mir als Kind im kalifornischen öffentlichen Schulsystem beigebracht wurde über die Missionen in Kalifornien, die angeblich von spanischen Priestern in San Diego gegründet wurden, war nicht mal einfach nur nicht wahr, sondern es war auch eine Vertuschung einer der großartigsten, seltsamsten und tragischsten Geschichten des amerikanischen Kontinents: die Geschichte der Begegnung der eingeborenen Völker mit den jesuitischen Missionaren, deren erste permanente Mission in Kalifornien hunderte von Kilometern südlich von San Diego, in Loreto am Golf von Kalifornien lag.
Loreto: ja, das ist ein italienischer Name. Die Jesuiten nannten die Stadt nach einer wichtigen Basilika in Italien, die zur Verehrung eines Steinhauses dort steht. Dieses Haus, so behauptet die Kirche, ist das Haus der Jungfrau Maria. Engel seien damit während der Kreuzzüge über die Adria geflogen und hätten es aus Nazareth nach Italien gebracht.
Loreto wurde im späten 17. Jahrhundert gegründet— ungefähr zur gleichen Zeit, zu der wir in der Provinz Texas die erste spanische Siedlung, San Francisco de los Tejas, sehen.
Als die Jesuiten in Kalifornien, wie sie diese fast 1000 Meilen lange Halbinsel nannten, ankamen, glaubten sie, dass es eine Insel wäre. Heute nennen wir es Baja oder Niederkalifornien und im Gegensatz zu Oberkalifornien, das im US-Mexikanischen Krieg an die USA verloren ging, ist es weiterhin ein Teil von Mexiko.
Alles spanische Priester? Eher nicht.
Der jesuitische Missionar, der Loreto gründete, war Giovanni Salvaterra, ein Italiener aus Mailand, der bei seiner Ankunft in Neuspanien seinen Namen hispanisierte und sich nun Juan María Salvatierra nannte. Einer der Männer, die ihm loyal zur Seite standen, war Vater Francesco Piccolo, ein Sizilianer, der Gründer anderer Missionen in Kalifornien war. Unter den jesuitischen Priestern in Kalifornien, oder wie wir heute sage, Baja Kalifornien, waren ein Franzose, ein Tscheche, ein Schotte, ein Bayer, und ein Priester aus Böhmen. Viele Deutsche.
Im Jahr 1767, hat der spanische König aus Gründen, die nur ihm bekannt waren, die Jesuiten aus seinem Reich vertrieben. Der neu ernannte Gouverneur von Kalifornien, Don Gaspar de Portolá, kam später in diesem Jahr in Loreto an. Erst später zog er mit den Franziskanern nach Norden, wo sie die sogenannten kalifornischen Missionen, über die ich in der Schule gehört hatte, gründeten.
Und hier ist das, was passiert ist— jedenfalls ein Teil der Geschichte— und es ist nur ein Teil— da ich ihn aus der Perspektive der Jesuiten beschreibe:
“Aus allen Teilen der Halbinsel kamen die Missionare in Loreto an: aus dem Süden, Ignác Tirsch und Johann Bischoff; aus Dolores, Lambert Hostell; aus San Luis Gonzaga, Johann Jakob Baegert; José Juan Díez aus La Purísima, Franz Inama von Sternegg aus San José de Comondú; Miguel del Barco aus San Javier. Francisco Escalante kam aus Santa Rosalía de Mulegé, José Rothea aus San Ignacio, und Victoriano Arnés aus Santa María Cabujakaamung, wo er seine erste Weizen- und Baumwollernte noch ganz grün hinterlassen hatte. In der Mission Santa Gertrudis, hatte Georg Retz sich das Bein gebrochen und konnte weder gehen noch reiten; seine Neophyten trugen ihn auf einer Bahre die fast zweihundert Meilen durch die Schluchten der Sierra de San Francisco, durch die Vizcaíno Wüste, und die Sierra de Guadalupe. Wenceslaus Linck kam als letzter an, aufgehalten davon, dass er sich während einer Epidemie in seiner Mission San Francisco de Borja um die Sterbenden hatte kümmern müssen. Als die Missionare in Loreto ankamen, umarmte Gouverneur Portolá jeden einzelnen und küsste ihnen die Hände, wie es bei den Spaniern Sitte war.
Portolá hatte den Befehl der Ausweisung gelesen und hatte sich aller Finanzen und Vorräte der Jesuiten bemächtigt: es war nur eine mickrige Menge an Gold- und Silbermünzen, ein paar Ballen Stoff, Werkzeuge der Soldaten und anderer gente de razón, und etwas getrocknetes Fleisch und Trockenfrüchte. Niemand wurde verhaftet.
Die Jesuiten sollten sich am 3. Februar 1768 einschiffen. Ihr Schiff, die traurige zweimastige Concepción, wartete verankert im Hafen. Sie würden den Golf von Kalifornien überqueren, und dann über Land nach Veracruz reisen; von dort aus würden sie dann ins Exil zu ihren jesuitischen Brüdern in den Kirchenstaat und nach Deutschland geschickt werden.
Gegen den ausdrücklichen Befehl des Königs, erlaubte Gouverneur Portolá den Missionaren eine letzte Hohe Messe abzuhalten. Pater Retz zelebrierte die Messe vor der Jungfrau von Loreto, die zu diesem Ereignis schwarz verschleiert war. Pater Ducrue hielt die Predigt. Nach dem Abendessen, gingen die Missionare zurück in die Kirche, um für Kalifornien zu beten und um Gottes Gnade und Hilfe zu bitten. Und dann, als sie auf dem Weg zum Meeresufer waren, schrieb Pater Ducrue:
‘Siehe da, wir wurden von allen Seiten von den Menschen, unter ihnen die spanischen Soldaten, umringt. Einige knieten im Sand um unsere Hände und Füße zu küssen, andere knieten mit ihren Armen ausgebreitet im Zeichen des Kreuzes und baten öffentlich um Verzeihung. Andere umarmten die Missionare zärtlich, verabschiedeten sich und wünschten ihnen eine Gute Reise während sie laut weinten und schluchzten.’
Die Indianer trugen die Priester auf ihren Schultern durch die Brandung zur Barkasse. Dort rezitierten die Priester die Litaneien der Jungfrau von Loreto und ihre Stimmen reichten weit über das dunkle Wasser.
‘Wir waren insgesamt sechzehn Jesuiten,’ schrieb Pater Baegert. ‘Genau die gleiche Anzahl, das heißt, sechzehn Jesuiten, einen Mönch und fünfzehn Priester, hinterließen wir in der Erde Kaliforniens begraben.’
Die Jesuiten waren einundsiebzig Jahre auf der Halbinsel gewesen.
Um Mitternacht gingen sie an Bord der Concepción.”
*
Das zweite Beispiel ist aus meinem Buch The Last Prince of the Mexican Empire (Der Letzte Prinz des Mexikanischen Reiches).
Obwohl es Fiktion ist, basiert das Buch auf mehreren Jahren meiner Forschungsarbeit in Archiven. Welches Reich? Was für ein Prinz?
Tja, es ist tatsächlich so, dass der erste mexikanische Kaiser, der Kaiser Iturbide, einen Enkelsohn hatte. Diejenigen unter Ihnen, die sich gut mit der mexikanischen Geschichte auskennen, werden sich erinnern, dass Kaiser Iturbide der letzte Anführer des mexikanischen Unabhängigkeitskampfes von Spanien war und dann 1822 zum Kaiser Mexikos gekrönt wurde. 1823 hat er dann abgedankt und wurder leider 1824 hingerichtet. Kaiser Iturbide hatte sogar zwei Enkelsöhne, aber der Einfachheit halber werde ich nur über den einen berichten. Dieser zwei-Jahre alte Junge lebte in Mexiko Stadt, als der zweite Kaiser, Maximilian von Habsburg, dessen Ankunft in Mexiko durch die Armeen von Louis Napoleon ermöglicht worden war, sich heimlich an die Iturbide Familie wandte, um das Kind in die Casa Imperial zu bringen. Es war nicht wirklich eine Adoption, sonder eher eine Art von— darüber könnte man noch sehr viel mehr sagen. Sagen wir hier nur, und das ist hier die Überraschung: in den Jahren 1865-66, dem Zenit des zweiten mexikanischen Kaiserreiches, war der vermeintliche Erbe des mexikanischen Trons ein zweieinhalb Jahre alter Halb-Amerikaner.
Und dies war Agustín de Iturbide y Green. Green wie die Farbe Grün: Das war der Familienname seiner Mutter.
Und dann kam es zu einem ungeheuren Drama, denn seine Mutter, der das Herz gebrochen war, versuchte, ihr Kind zurückzufordern. Der Kaiser Maximilian ließ sie verhaften und aus Mexiko ausweisen— und sie ging direkt nach Paris, zu ihrem dortigen Botschafter, und sorgte für einen solchen Skandal, dass die Geschichte auf die Titelseite der New York Times kam: über “die Entführung eines amerikanischen Kindes” durch den “sogenannten Kaiser von Mexiko”.
Dies passiert zur gleichen Zeit, in der die US-Regierung Benito Juárez und seine Republikaner in ihrem Kampf Maximilian zu stürzen und die Franzosen zu vertreiben, unterstützte. Benito Juárez, wie im Namen der Stadt Ciudad Juárez.
Wie ich an anderer Stelle schrieb,
“Als Der Letzte Prinz des Mexikanischen Kaiserreiches 2009 und dann 2010 auf Spanisch herauskam, überraschten mich zwei Reaktionen. Erstens, dass viele Leser, vor allem jüngere, sich an dem Foto, einer formalen Carte-de-Visite, des kleinen Prinzen störten. Agustín de Iturbide y Green war ein wunderschönes Kind, mit einem Amor-Mund, und er sah eher aus wie, sagen wir, ein englischer Prinz als ein typischer Mexikaner. Jene Leser machten ein verzerrtes Gesicht und fragten: “Warum trägt er ein Mädchenkleid?” (Nun, Leute, so kleidete man damals aristokratische kleine Jungen.)
Zweitens, dass so viele darüber staunten, dass ich aus “einer kleinen Fußnote” einen Roman gesponnen hatte. Abgesehen von fehlinterpretierten Schnipseln wäre die Geschichte von Agustín de Iturbide y Green am Hofe Maximilians in den Archiven vergessen worden, bis ich sie ausgrub, aber sie war keineswegs eine bloße Fußnote. In einer Monarchie ist der Thronfolger, auch wenn er ein Kleid und Windeln trägt, die lebende Garantie für die Zukunft des Regimes, und mehr noch: Er ist das lebende Symbol seines zukünftigen Volkes— seiner Untertanen.
Würden die Mexikaner Untertanen sein, Kreaturen, die zum Gehorchen geboren waren— oder Bürger, Männer und Frauen, die mit ihren vollen Rechten an der Schaffung ihres eigenen Gemeinwesens teilnehmen? Dies war Mexikos bittere und blutige Frage während des gesamten neunzehnten Jahrhunderts gewesen.
Ich erzähle die Geschichte des Prinzen von 1865, dem Höhepunkt des Zweiten Kaiserreichs bis zu dessen Zusammenbruch und schließlich zu seiner Rückkehr zu seinen Eltern in Washington 1867. Damit beschreibe ich gleichzeitig die Geschichte des Untergangs des mexikanischen Monarchismus, eine bis dahin mächtigen Idee, die darauf beruhte dass die Person eines erblichen Herrschers, die mystische Verkörperung aller Mexikaner sei.
Um ehrlich zu sein, habe ich bei der Aufarbeitung von Mexikos verworrenster und transnationaler Episode mehr Zeit gebraucht, als ich zugeben möchte, um meine Geschichte in so wenige Worte zu fassen. Und so hätte ich mich fairerweise nicht über die Reaktion jener Leser wundern sollen, für die (wie für mich) der Monarchismus nur eine seltsam lächerliche Sache ist. Sie sehen den Monarchismus als etwas das im Formaldehyd von Lehrbüchern oder im Sirup der Unterhaltung konserviert wird. Und dort wo er noch lebendig ist, wie in Spanien oder Grossbritannien, sind die königlichen Familien harmloses Futter für die Art von Zeitschriften, die man beim Friseur liest.”
Aber zurück zum letzten Prinzen, Agustín de Iturbide y Green.
Der Vater des Kindes, der zweite Sohn des Kaisers Iturbide, war ein mexikanischer Diplomat, und seine Mutter, geborene Alice Green, war eine Washingtoner Schönheit, die von den Platers abstammte— einer sehr prominenten Familie aus dem Tidewater in Maryland. Zusätzlich war sie noch eine Enkelin von General Uriah Forrest, der ein Adjutant von General George Washington in der amerikanischen Revolution gewesen war.
Wenn Sie es also glauben können, habe ich in den Bibliotheken der Society of the Cinncinati und der Daughters of the American Revolution in Washington DC interessante Dinge über den letzten Fürsten des mexikanischen Reiches gefunden.
Und vieles mehr in Washington DC: die persönlichen Papiere von Agustín de Iturbide y Green befinden sich an der Catholic University; es gibt auch ein kleines Archiv an der Georgetown University; und viele Dokumente, einschließlich der Aufzeichnungen über die Heirat seiner Eltern und vieles über den Familienbesitz in Rosedale, in Washington DC, befinden sich in der Historischen Gesellschaft von Washington DC.
Am wichtigsten ist, dass sich das Archiv des Kaisers Iturbide und das Archiv der Familie Iturbide nicht in Mexiko, sondern in der Library of Congress befinden.
Ja, es gibt sicherlich interessante Archive in Mexiko und in Texas und New York und Wien und anderswo, aber die relevantesten für die Geschichte von Agustín de Iturbide y Green befinden sich in Washington DC. Warum Washington DC?
Nach der Hinrichtung des Kaisers Iturbide im Jahr 1824 waren seine Witwe und seine Kinder nach Washington DC geflohen, unter den Schutz der Jesuiten in Georgetown, wo sie ihr Kolleg mit Blick auf den Potomac hatten. Ein Flash-Forward ins frühe 20. Jahrhundert: Agustín de Iturbide y Green lebte in Washington DC und lehrte Spanisch und Französisch in Georgetown, als er die Papiere des Kaisers Iturbide und der Familie Iturbide an die Library of Congress verkaufte. Ich bin sicher, dass er den Platz und das Geld brauchte, aber in Anbetracht der Unruhen in Mexiko zu dieser Zeit war dies wahrscheinlich die weiseste Entscheidung, die er hätte treffen können, um die Papiere zu erhalten. Und ich für meinen Teil bin ihm unendlich dankbar, dass er es getan hat.
*
Ah, Archive, sie sind randvoll mit Geheimnissen und Überraschungen. Das führt mich zu meinem neuesten Buch, das durch einen Besuch in einem Archiv im Nationalpalast von Mexiko-Stadt ausgelöst wurde, wo ich… ein geheimes Buch fand. Und aus einer Laune heraus, weil ich ein Übersetzer bin, bot ich an, es zu übersetzen. Und es war ein so seltsames kleines Buch, dass ich mich dann gezwungen fühlte, ein Buch über dieses Buch zu schreiben.
Mein Buch ist: Metaphysical Odyssey into the Mexican Revolution: Franciso I Madero and his Secret Book, Spiritist Manual (Die Metaphysische Odyssee in die Mexikanische Revolution: Francisco I. Madero und sein Geheimes Buch, ein Spiritistisches Handbuch).
Tja, wir sind hier an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, und ich bin mir sicher, dass die meisten von Ihnen sehr gut wissen, wer Francisco I. Madero war —schließlich bereitete er von hier in El Paso aus die berühmte Schlacht von Juárez vor. Und inmitten der Revolution von 1910 kam er auch ein paar Mal hierher nach El Paso, um zu Abend zu essen, wenn ich mich recht erinnere. Aber wenn Sie ein bisschen die mexikanischen Geschichte vergessen haben, dann sind hier die wichtigsten Grundlagen:
Francisco I. Madero war der Anführer der mexikanischen Revolution von 1910 und Präsident von Mexiko von 1911 bis 1913, als er durch einen Staatsstreich gestürzt und mit schockierender Lässigkeit hingerichtet wurde. Die mexikanische Revolution ging dann in eine neue und gewalttätigere Phase über, die bis 1920 mit der Präsidentschaft von Alvaro Obregón andauerte oder, wie einige Historiker behaupten, bis zum Ende der Cristero-Rebellion im Jahr 1929.
Hier ist ein wenig mehr über Madero aus meinem Buch. Ich zitiere:
“Berühmte Bilder der mexikanischen Revolution zeigen gewöhnlich rustikale Charaktere mit Bandolieren und Sombreros in Waschzubergröße, wie den glühenden Emiliano Zapata mit seinem Schnurrbart und den hautengen Hosen, oder Pancho Villa, der immer ein Lächeln zu tragen scheint, als hätte er gerade ein Bier getrunken (obwohl er ein Abstinenzler war; wahrscheinlicher ist, dass es eine Erdbeerlimonade war).
Seltener sehen wir Don Francisco, den stattlich gekleideten Spross einer der reichsten Familien Mexikos— meist barhäuptig, gelegentlich mit Zylinder—, denn er war und bleibt eine verwirrende Figur. Er war ein Spiritist, und was zum Teufel ist das? Ich hatte keine Ahnung. Und bis 2008 war es mir auch nicht in den Sinn gekommen, mich das zu fragen.”
2008 stieß ich zum ersten Mal auf sein Manual espírita (Spiritisten-Handbuch). Jeder Student der mexikanischen Revolution kennt Maderos erstes Buch, La sucesión presidencial en 1910 oder Die präsidiale Nachfolge im Jahr 1910, das 1909 veröffentlicht wurde. Darin wurde Maderos politisches Programm dargelegt, und es wirkte wie ein Magnet, um seine politische Partei und die landesweite Unterstützung für seine Kandidatur und die gegenwärtigen Kampagnen zusammenzubringen.
Weniger bekannt ist, dass Madero 1911, als er zum Präsidenten gewählt wurde, unter einem anderen Namen— Bhîma, nach einem Krieger im heiligen Text des Hinduismus, bekannt als die Bhagavad Gita— sein Manual espírita oder Spiritistisches Handbuch veröffentlichte.
Madero war in der Tat nicht nur ein leidenschaftlicher Spiritist, sondern auch ein spiritistisches Medium, das ein umfangreiches Archiv seiner medialen Notizbücher hinterlassen hat. Mit anderen Worten, Madero praktizierte das, was als automatisches Schreiben bezeichnet wird, oder er channelte schriftliche Botschaften von dem, was er für körperloses Bewusstsein hielt. Diese Geister drängten ihn, La sucesión presidencial en México zu schreiben— und das Manual espírita zu verfassen.
Was genau ist Spiritismus? Im Wesentlichen, um aus meinem Buch Metaphysical Odyssey into the Mexican Revolution zu zitieren, ist es der Glaube, dass
“wir nicht unsere physischen Körper sind; wir sind Geister, und als solche sind wir unsterblich, und wir sind dazu bestimmt, uns von Leben zu Leben, nicht durch irgendein Ritual, das von Klerikern vermittelt wird, sondern durch frei gewählte gute Werke, in immer höhere Bewusstseinsebenen zu entwickeln und so zu Gott zurückzukehren.”
Um Madero selbst in seines Buches, Manual espírita, zu zitieren:
“Der Spiritismus ist die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Kräfte des menschlichen Geistes, dessen Vergangenheit, bevor er in dieser Welt ankam, und seinem Schicksal beim Verlassen dieser Welt beschäftigt.”
Ich beeile mich zu erwähnen, dass ich nicht die erste bin, die über den Spiritismus von Madero schreibt.
Enrique Krauze, der wohl bekannteste Historiker Mexikos, veröffentlichte bereits in den späten 80er Jahren das Buch Francisco I. Madero, místico de la libertad, das das Thema einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte.
Yolia Tortolero, die ihre gründlich recherchierte Dissertation an El Colegio de México schrieb, veröffentlichte diese als El espiritismo seduce a Francisco I. Madero. Dr. Tortoleros Buch ist ein ebenso vitales wie großartiges Werk— das man übrigens jetzt für Kindle herunterladen kann.
Andere, die zu erwähnen sind, sind die mexikanischen Historiker Manuel Guerra de Luna und Alejandro Rosas Robles, und der Autor Ignacio Solares, der den mittlerweile klassischen Roman Madero, el otro schrieb.
Abgesehen davon wird Maderos Spiritismus in den wenigsten Revolutionsgeschichten mehr als eine beiläufige—zugegebenermaßen wirklich schrecklich kurze— Erwähnung zuteil. Sein Hauptbiograph, Stanley Ross, verbannt das Spiritisten-Handbuch in eine Fußnote! Und ein ansonsten ausgezeichnetes, von einer Universitätspresse publiziertes Lehrbuch über Mexiko sagt, dass Madero ein Atheist war— was ungefähr so ist, als würde man den Papst protestantisch nennen.
Mein Beitrag bestand darin, das Spiritisten-Handbuch zu übersetzen und Maderos Metaphysik in einen größeren historischen und nordamerikanischen Kontext zu stellen, und zwar in einer Erzählung, die man als “kreatives Sachbuch” bezeichnen könnte— mit anderen Worten, es ist kein Roman, aber ich hoffe, es liest sich wie einer.
Ich hatte auch das Privileg, in Maderos persönlicher Bibliothek zu stöbern, die sich im Centro de Estudios de Historia de México in Mexiko-Stadt befindet— nur wenige Gehminuten von meinem Haus entfernt, zum Glück für mich, denn ich musste mehrmals hingehen, um eine der wahrscheinlich wichtigsten Sammlungen esoterischer Literatur in Amerika zu durchforsten. Da sind viele, viele Geheimnisse und Überraschungen drin… Bücher über Reinkarnation, William James’ Lieblingsmedium, Madame Piper, Bücher von Madam Blavatsky, Annie Besant, Papus, Swami Vivekenanda, Dr. Peebles, Dr. Krumm-Heller, alias Maestro Huiracocha. … Aber die Zeit läuft mir davon.
Um zum Schluss zu kommen. Die Jesuitenmissionen in Kalifornien, ein halb-amerikanischer Thronfolger von Mexiko, ein Revolutionsheld und Präsident, der ein spiritistisches Medium war: für jede dieser Geschichten gibt es Interessenten, die es vorziehen würden, dass sie nicht erzählt werden.
Was die Jesuitenmissionen in Kalifornien betrifft, so vermute ich, dass diejenigen, die den Lehrplan für das öffentliche Schulsystem in Kalifornien zu meiner Zeit festlegten— das muss in den frühen 70er Jahren gewesen sein—, sich durch die verfügbare Anzahl von Unterrichtsstunden und die Staatsgrenze eingeschränkt fühlten, und wenn ein wichtiges Glied der Geschichte nicht in ihre Kiste passte, nun ja, dann wurde es halt amputiert, wenn nötig.
Wie bereits erwähnt, schlummerte die Geschichte des kleinen Prinzen Agustín de Iturbide y Green in Archiven außerhalb Mexikos, und in den Tagen vor dem Internet war es sehr zeitaufwändig, diese ausfindig zu machen und zu konsultieren, bis ich sie hervorholte. Außerdem war der mexikanische Monarchismus bis vor relativ kurzer Zeit, sagen wir in den letzten zwei Jahrzehnten, in mexikanischen akademischen Kreisen ein heißes Eisen, das man besser nicht anfasste. Und in gewisser Weise ist es immer noch ein heißes Eisen.
Ein weiterer komplizierender Faktor, vielleicht der wichtigste, war jedoch, dass für die mexikanischen Monarchisten die Verstrickung des Kaisers Maximilian mit der Familie Iturbide peinlich war. Sie unterstrich die Tatsache, dass Maximilian und seine Frau Charlotte nach acht Jahren Ehe nicht in der Lage gewesen waren, einen Erben zu zeugen. Und leider war Maximilians und Charlottes Umgang mit der sehr jungen und untröstlichen Mutter des Kindes von unfassbarer Grausamkeit. Vieles an dem Arrangement mit den Iturbides war selbst für jene rätselhaft, die dem Kaiserpaar nahestanden, und vor allem für jene, die, wie die meisten Mexikaner, mit den raren Traditionen des Hauses Habsburg und anderer europäischer Königshäuser nicht vertraut waren.
Auf ihrer Reise von Europa nach Mexiko im Jahr 1864 verfassten Maximilian und Charlotte ein Buch über das Hofprotokoll, Reglamento y ceremonial de la corte, das 1865 veröffentlicht wurde. Fast unbekannt ist die Tatsache, dass 1866 eine zweite Auflage mit einem völlig neuen ersten Kapitel über die Iturbide-Prinzen veröffentlicht wurde. Darin wurde erklärt, dass die Iturbide-Fürsten keine kaiserlichen Prinzen waren—sie waren keine Kinder der Herrscher. Sie hatten jedoch den Status der Murat-Fürsten.
Die Murat-Fürsten! Damals wie heute wären sie für die meisten, sagen wir mal, ziemlich obskur. Die Murat-Fürsten waren Nachkommen des Königs von Neapel, des Schwagers von Napoleon Bonaparte. Die Murat-Fürsten waren also Nachkommen eines Herrschers und Cousins von Louis Napoleon und damit Teil seines Kaiserhauses.
Wir sehen also, dass die Zeitzeugen-Memoiren, die mit Maximilian sympathisierten, alle seltsam vage über die Iturbides sind oder, wie im Fall von José Luis Blasios Maximiliano íntimo, verleumderische Geschichten über die Iturbides auftischen, denen die offiziellen Geburts-, Heirats- und Todesurkunden glatt widersprechen.
Aber am Rande muss ich erwähnen, dass es für mich eine der größten Überraschungen war, José Luis Blasios Maximiliano íntimo begegnet zu sein. Ja, ich habe meine Spitzfindigkeiten damit, und es ist politisch sehr unkorrekt: Blasio war Maximilians treuer und bewundernder Sekretär. Aber es sprüht so vor Herz und Leben, dass ich Maximiliano íntimo auf eine Stufe mit Díaz del Castillos Wahre Geschichte der Eroberung Neuspaniens als einen der größten literarischen Schätze Mexikos stellen würde. Und für die Zeit— Mexikos Zweites Kaiserreich oder die “Französische Intervention”— ist Maximiliano íntimo ein unvergleichliches Juwel.
Und schließlich, Francisco I. Madero. Sicherlich nicht für alle, aber für viele Mexikaner, und in der Tat viele Mitglieder der intellektuellen und politischen Elite Mexikos, ist Francisco I. Madero, Mexikos “Apostel der Demokratie,” als spiritistisches Medium ein störendes Bild. Sie betrachten die Idee, mit Geistern zu kommunizieren, als eine Art Aberglaube, oder pura locura, komplette Verrücktheit, unter aller Würde einer ernsthaften Betrachtung. Außerdem, falls Sie es noch nicht wussten, ich bin sicher, Sie haben es erraten, verbietet die katholische Kirche den Spiritismus und sein Hauptritual, die Séance.
Der Dichter Alan Ginsburg sagte vielleicht in Anlehnung an Gertrude Stein: “Nimm wahr, was du wahrnimmst.” So wie ich es verstehe bedeutet das: entfernen Sie die Filter— die Filter, die andere Menschen Ihnen aufsetzen wollen, um Ihnen die klare Sicht zu verzerren.
Nehmen Sie wahr. Nehmen Sie wahr, was Sie wahrnehmen! Nächster Schritt: Schauen Sie wirklich hin. Und schauen Sie wieder. Schauen Sie weiter. Tauchen Sie ein. Egal, ob es um Mexiko, die Grenze, El Paso oder die Welt an sich geht, es gibt viele Geheimnisse und Überraschungen, die auf Sie warten.
Vielen Dank.